Christian Stoll 2021
Wie bei jeder Planung einer Lehrveranstaltung müssen wir uns zunächst ein paar grundlegende Fragen stellen:
Zuerst, was ist die angestrebte Kompetenzentwicklung innerhalb meiner Lehrveranstaltung?
Oder anders gefragt: Welche konkreten Fähigkeiten und Fertigkeiten haben die Lernenden erworben, nachdem sie meine Lehrveranstaltung absolviert haben? Was ist also das Ziel meiner Lehrveranstaltung?
Aus diesem Zusammenhang heraus, ergeben sich folgende Fragen:
Was sind typische domänenspezifische, fachspezifische oder auch berufstypische Problemstellungen und Lösungswege innerhalb meiner Fachrichtung? Was sind also typische Arbeitsmethoden innerhalb meiner Fachrichtung? Und welche dieser Arbeitsmethoden können von Lernenden innerhalb einer Lehrveranstaltung angewendet werden?
Diese Fragen kurz zusammengefasst:
Welche Fähigkeiten muss ich haben, um mit welchen Arbeitsmethoden, welche typischen Probleme lösen zu können?
oder noch weiter verkürzt: Was muss ich können, um womit, welche Probleme zu lösen?
Nachdem wir uns diese Fragen bewusst gemacht haben, können wir uns nun mit ein paar Merkmalen von Online-Lehrveranstaltungen auseinandersetzen.
Aus mediendidaktischer Perspektive funktioniert es nicht, traditionelle Lehrkonzepte eins zu eins in Online Lehrveranstaltungen umzusetzen. Ein gutes Beispiel dafür, ist das Live-Streaming von Vorträgen bzw. Vorlesungen. Für Lehrenden ist es häufig unangenehm, die ganze Zeit ohne Feedback eines Publikums vor einem Bildschirm sitzend über einen langen Zeitraum einen Vortrag zu halten. Lehrende sind es eher gewohnt sich im Raum bewegen zu können, bspw. hin und herzulaufen und auch Körpersprache, Handbewegungen und unterschiedliche Materialien einsetzen zu können. Dazu kommt noch, dass es zu einer technischen Herausforderung für das jeweilige Video-Konferenzsystem werden kann, gerade bei einer großen Anzahl an Teilnehmenden.
Für Lernende ist es ebenso eine ungewohnte Situation. Es wird häufig als merkwürdig wahrgenommen, sich zu einem festgelegten Zeitpunkt, über einen längeren Zeitraum hinweg, ein Video anzuschauen, ohne die Möglichkeit zu haben das Video zu pausieren oder vor- und zurück zu skippen. Man muss daher die Frage stellen, was der Mehrwert eines Live-Streams bzw. einer Video-Konferenz ist, bei der eine große Anzahl an Personen zeitgleich anwesend sind, bei der aber nur eine Person aktiv ist. Für online Lehrveranstaltungen empfehlen sich daher asynchrone Lehrkonzepte, die mit synchronen Elementen ergänzt werden.
Wie kann so was aussehen?
Statt Vorlesungen oder Lehrervorträge live zu streamen, empfiehlt es sich, Lernmedien zu Verfügung zu stellen. Als Lernmedien eignen sich bspw. Audiodateien, Videos oder Dokumente. Verknüpfen Sie die Lernmedien immer mit konkreten Arbeitsaufgaben oder Fragestellungen, die von den Lernenden bearbeitet werden können. Das kann auch in Form eines Quiz sein. Die Ergebnisse der Aufgaben besprechen Sie im Idealfall im Anschluss in einer Präsenzveranstaltung oder einer Videokonferenz.
Videokonferenzen können darauf aufbauend ebenfalls dazu verwendet werden, Lernenden Fragen zu beantworten, weiterführende Problemstellungen oder mögliche Anwendungsfelder in der Praxis zu diskutieren. Nutzen Sie also zur Vermittlung von Fachinhalten Lernmedien, die von Lernenden zeitsouverän konsumiert werden können und setzen sie Video-Chats dazu ein, um mit den Lernenden in einen aktiven Austausch zu treten.
Welcher Mehrwert ergibt sich daraus?
Lernende haben die Möglichkeit sich zeitsouverän in einer selbstgewählten Geschwindigkeit mit Inhalten auseinanderzusetzen. Dies kommt besonders heterogenen Lerngruppen entgegen, insbesondere Studierenden mit Kindern und Studierende, die neben dem Studium arbeitstätig sind. Für Lehrende ergibt sich der Vorteil, dass einmal erstellte Lernmedien wiederverwendet und auch mit anderen Lehrenden geteilt werden können. Eine zusätzliche zeitliche Belastung für Lehrende besteht also lediglich bei der Erstellung von Lernmedien.
Seien Sie transparent. Machen Sie die Erwartungen, Anforderungen und Ziele deutlich und geben Sie klare Arbeitsanweisungen. Im Idealfall machen Sie kenntlich, wie lange eine Lerneinheit bzw. die Erledigung einer Arbeitsaufgabe dauern wird. Es zeigt sich, dass Lernende motivierter im Umgang mit bspw. kurzen Videosequenzen und vielen einzelnen Arbeitsaufträgen sind, die sich nacheinander „abhaken“ lassen. Bei umfangreichen Arbeitsaufgaben und sehr langen Videos neigen Lernende eher zur Prokrastination. Kommunizieren Sie einheitlich. Alle Informationen und Arbeitsanweisungen versenden Sie im Idealfall über einen Kanal.
Seien Sie erreichbar. Bieten Sie bspw. Online-Sprechstunden an, um bei Fragen und Problemen weiterhelfen zu können.
Bieten Sie eine mediale Vielfalt und Anwendungsmöglichkeiten. Jeder Mensch lernt anders. Jeder Mensch bevorzugt in bestimmten Situationen einen bestimmten Lernkanal bzw. einen bestimmten Zugang zu einem Thema. Sei es durchs Lesen oder das Schauen eines Videos. Ein Großteil der Menschen lernt jedoch am besten, indem Sie Dinge selbst tun bzw. erlerntes vertiefen indem sie es anwenden.
Ermutigen Sie Lernende dazu, sich auszutauschen und gemeinsam zu lernen. Auch hier können Video-Konferenzsysteme verwendet werden, um sich zu treffen, um gemeinsam Problemstellungen zu bearbeiten und Inhalte zu diskutieren.
Geben Sie die Möglichkeit eigene Lösungswege zu entwickeln und auch kreativ zu werden. Ermöglichen Sie einen Lebensweltbezug. Zeigen Sie auf, wo im Alltag Lernende mit bestimmten Problemstellungen konfrontiert werden bzw. wo im späteren Arbeitsalltag bestimmte Problemstellungen auf die Lernenden warten können. Es hilft Lernenden, sich motiviert mit bestimmten Problemen auseinanderzusetzen, wenn Sie wissen warum dies für ihre Lebenswelt relevant ist und warum es erstrebenswert ist, sich eine bestimmte Kompetenz anzueignen.
Seien Sie realistisch. Das gilt für Lehrende wie für Lernende. Die Umstellung von Präsenzlehrveranstaltungen, für die ich Bildungsinstitutionen besuche, hin zu Online-Lehrveranstaltungen, an denen ich komplett von zuhause aus teilnehme, ist für alle eine starke Umstellung und bricht mit den meisten traditionellen Erwartungen ans Lehren und Lernen. Es ist also davon auszugehen, dass Lehrveranstaltungen oder auch Arbeitsprozesse zunächst nicht so reibungslos verlaufen werden, wie wir es eventuell erwartet haben.
Machen Sie sich immer wieder bewusst, was das Ziel ihrer Lehrveranstaltung ist und welche Kompetenzen die Studierenden entwickeln sollen. Entwerfen Sie entsprechend passende Lehrmedien und setzen Sie Videokonferenzen ein, um mit den Lernenden in einen aktiven Austausch zu treten. Sehen Sie Ihre Rolle weniger als Lehrende, sondern mehr als beratende, den Lernprozess begleitende Person.