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Christian Stoll 2021

Grundlagen der Kompetenzorientierung

Was ist Kompetenz?

Es gibt verschiedene Definitionen von Kompetenzen. Diese haben in der Regel einen gemeinsamen Kern: Kompetenzen umfassen alle verfügbaren körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person, um Probleme zu lösen und die damit verbundene Bereitschaft dies in unterschiedlichen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll zu nutzen (Abels, 2011, p.20).

Der Kompetenzbegriff bezieht den Lernerfolg auf eine mehrdimensionale (ganzheitliche) Entwicklung einer Person. Anders ist es bspw. beim Begriff der Qualifikation, welcher sich auf die Verwertbarkeit und Anwendbarkeit des Lernerfolgs bezieht (Raithel et al., 2007, p.39).

Historischer Hintergrund

upload.wikimedia.org_wikipedia_commons_thumb_8_8a_johann_heinrich_pestalozzi_real_academia_de_bellas_artes_de_san_fernando_madrid_.jpg_184px-johann_heinrich_pestalozzi_real_academia_de_bellas_artes_de_san_fernando_madrid_.jpgAbb. 1: Johann Heinrich Pestalozzi

Viele (medien-)didaktische Ansätze um Lernprozesse angemessen und zielgruppengerecht zu gestalten, gehen auf Johann Heinrich Pestalozzi (Siehe Abbildung 1) zurück. Die wichtigsten didaktischen Ansätze hierbei sind, dass Erziehung und Bildungsinstitutionen nur bis zu einem bestimmten Punkt zur Entwicklung eines Lernenden beitragen kann. Lernende müssen dazu befähigt werden, sich selbstbestimmt und selbstständig zu entwickeln. Nach Pestalozzi endet der Lern- und Entwicklungsprozess eines Menschen nicht nach der Schule oder dem Studium. Menschen sollen ein Leben lang lernen und sich entwickeln. Den wichtigsten Beitrag für die eigene Entwicklung leistet hierbei die Fähigkeit, sich selbst zu prüfen und zu hinterfragen also zu reflektieren (Raithel et al., 2007, p.112f.).

Ein weiterer didaktischer Ansatz der auf Pestalozzi zurück geht, ist die Idee des ganzheitlichen erfahrungsbasierten Lernens. Pestalozzi ging es hierbei weniger um die reine Wissensvermittlung als mehr um die Vermittlung von Anschauungen und Fertigkeiten. Lernende sollen eigene Erfahrungen machen und darauf ihr Wissen und ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten aufbauen. Hierauf bezieht sich auch die bekannte Trias Pestalozzis: Das „bilden von Kopf, Herz und Hand“ ist eines der wesentlichen didaktischen/methodischen Grundsätze Pestalozzis auf dem auch heute noch unterschiedliche reformpädagogische, didaktische Ansätze und Theorien aufbauen (Herkner; Pahl, 2018, p.2).

Kopf, Herz und HandAbb. 2

Hinter dem Symbol des Kopfes verbergen sich die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen, Dinge wahrzunehmen, zu erkennen aber auch zu verstehen, zu durchdenken, zu verinnerlichen und auch wiederzugeben (Franke, 2005, p.12-16).

Das Symbol der Hände steht für psycho-motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten. Hierzu gehört das Durchführen bestimmter Handlungsabfolgen, um damit Handlungsprodukte zu erstellen. Dies schließt das Schreiben genauso ein, wie die Verwendung von Werkzeugen und Geräten(Franke, 2005, p.17-19).

Das Herz steht für affektiv-ethische Fähigkeiten. Wobei der Begriff Fähigkeiten diesem Themenbereich nicht richtig gerecht wird. Es geht hierbei mehr um die Einstellungen, Wertvorstellungen und die Frage inwiefern eine Person bezügliche bestimmter Themen und Fragestellungen sensibilisiert wurde (Franke, 2005, p.19-22).

Aus Pestalozzis Trias wurden unterschiedliche taxonomische Systeme (theoretische Modelle) abgeleitet. Diese werden in erster Linie für die Formulierung von Lernzielen verwendet und sind rein output-orientiert. Die bekannteste Lernzieltaxonomie ist von Bloom et al. (1956). Diese Lernzieltaxonomie bezieht sich jedoch nur auf die kognitiven Fähigkeiten und macht keinerlei Aussagen bezüglich der anderen Fähigkeiten und Fertigkeiten die ein Mensch entwickeln sollte. Bloom und andere Autor:innen aus den 1960er und 1970er Jahren haben auf diesen Ansatz aufbauend auch für die anderen Fähigkeitsbereich Lernzieltaxonomien entwickelt (Franke, 2005, p.12-22).

Kognitiver Bereich (Bloom et al., 1956):

  1. Wissen
  2. Verstehen
  3. Anwenden
  4. Analyse
  5. Synthese
  6. Evaluation

Psychomotorischer Bereich (Simpson, 1966)

  1. Wahrnehmung
  2. In Bereitschaft versetzen
  3. Ausführung unter Anleitung
  4. Mechanische Ausführung
  5. Automatische Bewegungsabfolge

Affektiver Bereich (Krathwohl et al., 1975)

  1. Werten
  2. Wertordnung entwickeln
  3. Bestimmtsein durch Werte

Ganzheitliches erfahrungsbasiertes Lehren und Lernen im Sinne Pestalozzis sollte sich nicht nur auf einen dieser Bereiche beziehen, sondern sollte versuchen alle Bereiche weitestgehend zu berücksichtigen. Ein Konzept, welches vor diesem Hintergrund entwickelt wurde, ist das Konzept der Kompetenzen.

Kompetenzmodell für die allgemeine, (vor-)berufliche und Hochschulbildung

Aufbauend auf dem ganzheitlichen Verständnis von Lehr-Lernprozessen nach Pestalozzi, den daraus entwickelten taxonomischen Systemen von Bloom u.a. wurde folgendes Kompetenzmodell konstruiert:

  • Fachkompetenz (Inhaltlich-Fachliches Lernen)
  • Methodenkompetenz (Methodische-problemlösendes Lernen)
  • Individualkompetenz (Affektiv-ethisches Lernen)
  • Sozialkompetenz (Sozial-kommunikatives Lernen)

Siehe dazu u.a. Franke (2005, p.34), Frey (2004, p.904-905) und Raithel et al. (2007, p.40).

Der Wahrnehmungs-, der kognitive und der psychomototische Bereich lassen sich hierbei in der Fachkompetenz und der Methodenkompetenz verorten. Der Affektive Bereich geht in der Individualkompetenz auf. Zusätzlich wird mit der Sozialkompetenz dem Umstand Rechnung getragen, dass Lehr-Lernprozesse immer kommunikative bzw. soziale Prozesse sind, die angelernt werden müssen. Dieser Aspekt stellt hierbei eine sinnvolle Ergänzung dar, die in den bisher erläuterten Theorien und Systemen nicht berücksichtigt wurden.

Fachkompetenz umfasst die Bereitschaft und die Fähigkeit, Aufgaben und Probleme auf der Grundlage fachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten zielorientiert, sachgerecht und selbstständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen (KMK, 2018, p.15).

Methodenkompetenz umfasst die Kenntnisse unterschiedlicher Methoden und die Fähigkeit und Bereitschaft diese zielgerichtet, planmäßige zur Lösung von Aufgaben und Problemen einzusetzen. Hierzu gehört Arbeitsgegenstände zu analysieren, Arbeitsprozesse zu strukturieren und die Arbeitsprozesse im Anschluss zu reflektieren (KMK, 2018, p.16).

Sozialkompetenz umfasst die Bereitschaft und Fähigkeit soziale Beziehungen zu leben und zu gestalten, Zuwendungen und Spannungen zu erfassen und zu verstehen sowie sich mit anderen rational und verantwortungsbewusst auseinanderzusetzen und zu verständigen. Außerdem Aufgaben und Probleme gezielt in Kooperation mit anderen zu lösen. Hierzu gehört ebenso Kritikfähigkeit und die Fähigkeit konstruktives Feedback zu geben (KMK, 2018, p.15).

Selbstkompetenz/Individualkompetenz umfasst die Bereitschaft und Fähigkeit, als individuelle Persönlichkeit die Entwicklungschancen, Anforderungen und Einschränkungen in Familie, Beruf und öffentlichem Leben zu klären, zu durchdenken und zu beurteilen, eigene Begabungen zu entfalten sowie Lebenspläne zu fassen und fortzuentwickeln. Zu ihr gehören insbesondere auch die Entwicklung durchdachter Wertvorstellungen, die selbstbestimmte Bindung an Werte und die Fähigkeit diese begründen und reflektieren zu können (KMK, 2018, p.15).

Dieses Kompetenzmodell liegt dem Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse (KMK, 2017, p.4) und dem deutschen Qualifiaktionsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR, 2011) zu grunde.

In der beruflichen Bildung sind diese vier Kompetenzbereiche die Grundlage für die berufliche Handlungskompetenz (Franke, 2005, p.33-37). Die KMK definiert Handlungskompetenz wie folgt:

Handlungskompetenz wird verstanden als die Bereitschaft und Befähigung des Einzelnen, sich in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen sachgerecht durchdacht sowie individuell und sozial verantwortlich zu verhalten (KMK, 2018, p.15).“

Abb. 3: Kompetenzmodell

Diese Definition der Handlungskompetenz ähnelt sehr stark der zuvor genannten Definition von Kompetenzen allgemein. Daher ist es eine naheliegende Idee das Kompetenzmodell entsprechend anzupassen und Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz als Teilkompetenzen der Handlungskompetenz zu verstehen (Siehe Abbildung 3). Das Kompetenzmodell lässt sich in dieser Form auf die berufliche, vorberufliche, allgemeine und Hochschulbildung anwenden.

Eine nachhaltige Entwicklung der Handlungskompetenz von Lernenden ist im Sinne Pestalozzis dann gegeben, wenn Lernende die Möglichkeit haben selbst aktiv tätig zu werden, eigene Erfahrungen zu machen, um diese im Anschluss zu reflektieren. Dies gilt für online stattfindende Lehrveranstaltungen genauso wie für Lehrveranstaltungen die in Präsenz statt finden. Ein Hilfsmittel um Lehrveranstaltungen kompetenzorientiert zu planen ist das Lernzielfeld. Als methodisch/didaktischer Unterbau eignet sich hierfür die Handlungs- und Projektorientierung.


2 Raithel et al., 2007. Einführung Pädagogik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, ISBN 978-3-531-16320-8.
3 Herkner; Pahl, 2018. Handlungsorientierung in der Berufsbildung. Springer Fachmedien Wiesbaden, ISBN 978-3-658-19372-0.
4 Franke, 2005. Facetten der Kompetenzentwicklung. Bertelsmann, ISBN 3-7639-1053-0.
7 Krathwohl et al., 1975. Taxonomie von Lernzielen im affektiven Bereich. Beltz, ISBN 978-3-407-51085-3.
8 Frey, 2004. Die Kompetenzstruktur von Studierenden des Lehrerberufs. Zeitschrift für Pädagogik, ISSN 0044-3247.
10 KMK, 2017. Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse. Sekretariat der Kultusministerkonferenz: Referat Berufliche Bildung und Weiterbildung.
11 DQR, 2011. Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen.
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